Guten Tag,
„Lerne von der Geschwindigkeit der Natur: Ihr Geheimnis ist die Geduld.“ – so formulierte es der amerikanische Dichter, Philosoph, und ehemalige Geistliche Ralph Waldo Emerson (1803-1882).
Als Emerson, ein früher Verfechter des einfachen und darum guten Lebens im Einklang mit der Natur, diesen Satz schrieb, war die Natur in ihrer Konstanz und Verlässlichkeit ein Gegenort zur schon damals rasenden Entwicklung von Wirtschaft, Handel, Politik und Gesellschaft. Immer weiter drang die sogenannte Zivilisation in den damals noch „wilden Westen“ vor, an der Ostküste Nordamerikas nahm die Industrialisierung schnell an Fahrt auf, erste Ölfunde wurden systematisch erschlossen und in Kalifornien brach der Goldrausch aus. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vervielfachte sich die europäische Migration in die Vereinigten Staaten und nicht zuletzt waren da ein Krieg mit der ehemaligen Kolonialmacht und der Bürgerkrieg um die Sklaverei und die Freiheits-„Rechte“ weißer Sklavenhalter. Nur gut, dass wenigstens die Natur noch Geduld hatte – oder doch zu haben schien.
Heute wissen wir es längst anders und erfahren es auch anders in verheerenden Gletscherstürzen, dem dritten deutschlandweiten Dürrefrühling in wenigen Jahren und in immer neuen Katastrophenmeldungen. Merkwürdig nur – und verheerend –, dass politisch derzeit eine neue Geduld in ökologischen Fragen ausgebrochen scheint. Es gibt, hat man den Eindruck, Dringenderes, während zugleich Berge stürzen, Temperaturen klettern und bald wieder Wälder brennen.
Von der Geschwindigkeit der Natur zu lernen, heißt heute von ihrer Ungeduld zu lernen - sich die Dringlichkeit, die längst offensichtlich ist, auch angehen zu lassen.
Für Emerson teilen Natur, Mensch und Kosmos eine gemeinsame Seele, können und sollen empfindsam füreinander sein. Für diese Auffassung war in der Theologie seiner Zeit kein Platz, und auch deshalb legte Emerson Pfarramt und Professur in Harvard nieder.
Dass „auch die Schöpfung als Kind Gottes frei werden wird von der Knechtschaft der Vergänglichkeit und bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt“ und dass Gottes Geist in ihr wie auch in den Menschen lebt, leidet und betet, gehört zu den großen Geheimnissen biblischer Schöpfungstheologie (Römerbrief des Paulus, Kapitel 8,21-22 und 26).
Es ermutigt Christ*innen zu Sorgfalt und Eile, zu Geduld und Ungeduld im Hoffen und im Handeln.
Einen geist-vollen Sommer und viel Freude bei der Lektüre unseres Newsletters wünscht Ihnen
Ihr Jan-Dirk Döhling
Institutsleiter und Dezernent für Gesellschaftliche Verantwortung
der Evangelischen Kirche von Westfalen